Das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen&Co. enteignen!“ könnte ins Leere laufen

Christian Sprenger in der JW vom 15.06.2019

 Sie zielt auf die richtigen Gegner: Immobilien-AGs wie Deutsche Wohnen (DW) oder Vonovia, wie sie im Zuge der Entwicklung des Monopolkapitalismus in den letzten 15 Jahren vor allem durch den Aufkauf öffentlicher Wohnungsbestände entstanden. Besonders hervorgehoben werden muss die perfekte Öffentlichkeits- und Medienarbeit der Kampagne „DW&Co. enteignen!“. Hier sind Profis unterwegs, die binnen kurzer Zeit europaweite Öffentlichkeit und vor allem positive Resonanz bei einem Großteil der Bevölkerung erreichen konnten. Eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte weit über das übliche Milieu der mietenpolitischen Bewegung hinaus wurde entfacht. Das ist gut so, weil Wohnen derzeit zur existentiellen Frage für immer größere Teile der Arbeiterklasse wird, die sich künftig weiter zuspitzen dürfte. Erst einmal spricht nichts gegen die Unterschrift für den Volksentscheid. Wer aber erwartet, dass die Immobilien-AGs vergesellschaftet und die Mieten sinken würden, sitzt Illusionen auf.


Steuermilliarden für Spekulanten?

Das Volksbegehren läuft unter falschem Namen. Was hier unter „Enteignung“ gefordert wird, soll, und das geht nach dem Grundgesetz (GG) auch gar nicht anders, gegen Entschädigung laufen. Ein Immobiliengeschäft also, und kein besonders gutes für die Berliner Mieter, sondern eine Steuergeld-Umverteilung von unten nach oben, in die Kassen jener Heuschrecken, welche die Wohnungen zum Spottpreis kauften und die bis heute maßlos an immer höheren Mieten, energetischen Sanierungen, Verkäufen oder spekulativem Leerstand verdienen.
Problematisch erscheint auch die Höhe der Entschädigung. Die Kampagne benennt eine Summe bis 13,7 Mrd. € für die rund 250 000 Wohnungen. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, Partei die Linke (PdL), geht von bis zu 36 Mrd. aus. Es sind dies „kampagnenfreundliche“ Zahlen, und schon jetzt ist absehbar, dass bei ihrem Erfolg die tatsächliche Entschädigungssumme wohl nach einem jahrelangen Rechtsstreit durch ein bürgerliches Gericht festgesetzt werden müsste. Die Staranwälte von DW&Co. würden ein Maximum herausholen und die „Enteignung“ zu einem sagenhaften Geschäft für die Konzerne umbiegen. Der Kurs der DW-Aktie jedenfalls zeigt seit 2018 Höhenflüge. Mitte März 2019 stand er so hoch wie nie.

Chancen gleich Null

„DW&Co. enteignen!“ beruft sich auf Art.15 GG, in dem Enteignungen per „Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt“, für möglich erklärt werden. Die Berliner Koalition aus SPD, Grünen und PdL müsste also einheitlich ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Auch wenn die Kampagnensprecher damit rechnen2, scheint das meilenweit von der Realität entfernt, wie zuletzt die SPD-internen Reaktionen auf die Sozialismus-Lippenbekenntnisse Kevin Kühnerts zeigten. Und dann ist da wieder die bürgerliche Justiz, die ein solches Gesetz prüfen müsste. Denn es gilt auch Art.14 GG, wo es in Abs. 3 heißt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Klar, dass nicht nur die Festlegung der Entschädigungssumme ein jahrelanges juristisches Tauziehen bedeuten würde - mindestens ebenso schwierig dürfte der Nachweis eines Verstoßes gegen das Allgemeinwohl werden. Denn DW, Vonovia&Co. machen, was Grundlage kapitalistischen Handels und somit legal ist: aus der Ware Wohnung Profit zu ziehen. Außerdem liegen die Mietpreise in Berlin bei Vonovia und DW bei rund 6,46 €/m². Zum Vergleich: beim derzeit vom Land Berlin geförderten Wohnungsbau (sog. Sozialwohnungen) liegt die Einstiegsmiete bei 6,50 €. Vom DW-Gesamtbestand liegen 58,2 % der Wohnungen unterhalb dieser 6,50 € und 42 % unter 6,00 € (DW-Geschäftsbericht 2017). Und die angekündigten Mietsteigerungen um jeden Preis verstoßen sicherlich gegen das Mieterwohl, doch auch hier sei darauf verwiesen, dass alle landeseigenen Wohnungsgesellschaften ebenfalls jedes Jahr die Durchschnittsmieten erhöhen. Und das nicht zu knapp: von 2012–2017 um wenigstens 10,7% (Howoge); die Gesobau führt hier mit 18,2%.3 Vor diesem Hintergrund erscheint eine juristische Absegnung der „Enteignung“ geradezu absurd.  

Anti-Wohnungsneubau

Berlin wächst um rund 40.000 Einwohner jährlich. Es gibt mehr Obdachlose als jemals zuvor. Die Sozialsenatorin plant für sie Zeltplätze; Medien bewerben Mini-Boxen aus Holz für Menschen ohne Bleibe, Opfer von Zwangsräumungen müssen in Container. Die Kampagne stellt sich trotzdem gegen Wohnungsneubau, weil dieser für einen Anstieg der Mieten sorge. Was sicherlich für derzeit praktizierte Neubau-Vorstellungen der Immobilienlobby, also auch für jene von CDU/FDP/AfD gilt, könnte durch den Kommunalen Wohnungsbau mit politisch gedeckelten Mieten umgekehrt werden – kein Wort dazu von den Kampagnenmachern! Neubau ist für sie gleich Neubau, und wer so etwas fordert steht im Lager der Immobilienhaie. Tatsächlich aber wirkt gerade diese Argumentation als Türöffner für die Immobilienlobby, die scheinbar schlüssig mit dem Wohnraummangel argumentieren kann.

Alles beim Alten

Innerhalb der Mieterbewegung wird häufig gemutmaßt, Ziel der „Enteignen“-Kampagne sei nicht so sehr die tatsächliche Enteignung der privaten Wohnungsunternehmen, sondern vielmehr, dass in die Politik Bewegung käme. Die Diskussion führender Politiker um „Enteignen“ und deren Einsicht, die Lage der Mieter in Ballungsgebieten entschärfen zu müssen, zeige bereits den eigentlichen Erfolg der Kampagne. Echt? Erst im April wurde der Ex-Manager von Vonovia, Ulrich Schiller, zum Geschäftsführer der Howoge ernannt. Waren dem Senat deren Mieten und Mietsteigerungen zu moderat? Die Berliner öffentlichen WBGs existieren als GmbH oder Aktiengesellschaft wie jedes andere profitorientierte Unternehmen. Dabei hat der Senat mit dem öffentlichen Wohnungsbestand das beste Mittel, das Mietenniveau zu dämpfen. Es gibt aber keine Mietsenkungen, sondern nur Wortgeplänkel über „Mietendeckel“. Einen solchen schlägt die SPD jüngst für Berlin vor, Stadtentwicklungssenatorin Lompscher wiegelt ab. Genau umgekehrte Vorzeichen in Hamburg: Hier fordert die PdL den „Hamburger Mietendeckel“, und die SPD tönt: „Blanker Populismus!“4 Trotzdem nimmt die Kampagne die Senatspolitik komplett aus der Schusslinie und schildert die „Enteignung“ als letztmögliches Mittel.

Die Milliarden für Kommunalen Wohnungsneubau

Und so bleiben den Mietern von DW&Co. nur die Mittel wie allen anderen: sich Organisationen mit Rechtsschutz zu suchen und die politische Organisierung, wie das die DW-Mieter schon seit Jahren, neuerdings auch Vonovia-Mieter, lokal und Berlinweit sehr erfolgreich tun. Luftnummer-Kampagnen von Links, die letztlich nur enttäuscht werden können, bergen die Gefahr, dass weite Teile der Mieter resignieren, sich endgültig entpolitisieren oder schlimmstenfalls in die Arme vermeintlicher „Problemlöser“ à la AfD treiben. Die Verteilung öffentlicher Mittel aus den Händen der Arbeitenden in die Taschen der Monopolisten würde mit der Umsetzung des Volksbegehrens fortgeführt, ebenso wie z.B. durch die Ausübung des Vorkaufsrechts für Mietshäuser, hier vor allem auf Bezirksebene. Dass Immobilien zu Phantasiepreisen gehandelt werden, dass Bezirke ohne mit der Wimper zu zucken immer gigantischere Summen für zweifelhafte Immobilien hinblättern, ist überhaupt nur möglich durch den Mangel an Wohnraum. Um diesen zu beheben dürfen die Milliarden öffentlicher Gelder nicht als „Entschädigung“ in die Kassen der Immobilien-AGs und ihrer Aktionäre wandern. Vielmehr müssen davon binnen weniger Jahre kommunale Neubauwohnungen in großem Stil errichtet werden, welche sofort und für etliche Jahrzehnte nutzbar wären. Nur ein solcher Bruch mit der neoliberalen Praxis könnte eine antimonopolistische Wende im Bereich Wohnungspolitik einleiten und ließe die Spekulanten der Immobilien-AGs ins Leere laufen. Die Möglichkeit eines gewaltigen Kommunalen Wohnungsneubaus5 nach österreichischem Vorbild wäre der große Wurf, für den es gesellschaftliche Mehrheiten zu mobilisieren gilt.