Interview mit Stephan Gummert, 44 Jahre, Krankenpfleger an der Berliner Charité, Mitglied im Personalrat, Tarifkommission, Betriebsgruppenleitung

UZ: Im letzten Jahr hat die Ankündigung, dass an der Charité 80 Pflegekräfte zusätzlich eingestellt werden sollen, für Furore gesorgt. Eine paritätisch besetzte Kommission sollte bis Ende 2014 überwachen und auswerten, wo diese Einstellungen vorgenommen werden sollen und wie sich diese Einstellungen auswirken. Wie sieht es damit aus, hat die Aufstockung etwas gebracht?

Stephan Gummert: Bei der vereinbarten Einstellung der 80 Pflegekräfte handelte es sich um einen Schlichtungskompromiss. 2014 haben wir im März zu einem Warnstreik zu dieser Thematik aufgerufen. Die Schlichtung wurde dann angerufen, d. h. wir gerieten in einen wochenlangen Schlichtungsprozess und als Ergebnis stand dann dieser Kompromiss: Die Charité verpflichtete sich, im Pflege- und Funktionsdienst 80 Einstellungen vorzunehmen. Die von Dir erwähnte paritätisch besetzte Kommission, in der ich bis Anfang Dezember den Vorsitz übernommen hatte, hatte dann genau diese Aufgabe der Überwachung und Empfehlungen auszusprechen, sogenannte Brennpunkte zu ermitteln, wo dann die neuen Kräfte eingesetzt werden sollten.

Und wie ist das dann gelaufen? Was ist Dein Fazit?

Nun, es gab im Zeitraum von Ende November bis Anfang Dezember den Tarifvertrag selbst, eine mehrgliedrige Vereinbarung. Die Tarifvertragsparteien sollten demnach gemeinsam darauf schauen und entscheiden, ob die Einstellungen erfolgreich waren, bzw. wie erfolgreich sie waren. Anschließend sollte dies in weitere Verhandlungen münden, um den Umfang weiterer Einstellungen festzulegen. Die Vertragsparteien kamen dann zu unterschiedlichen Ansichten, um es mal so zu formulieren. Die Charité hätte das gerne so fortgeführt, ver.di kam zu dem Ergebnis, dass das Modell gescheitert ist. Das ist nun auch offiziell, dass dieser Weg nichts bringt und entsprechend auch nicht weiter gegangen wird. Wir befinden uns jetzt im Rückkopplungsprozess mit der Basis, um Wege jenseits des Verhandlungstisches zu beschreiten, d. h. Arbeitskämpfe, Warnstreiks sind nicht ausgeschlossen. Da befinden wir uns jetzt.

Wieso seid ihr, warum ist ver.di, zu dieser Einschätzung gekommen, dass die auf diesem Weg vorgenommenen Einstellungen nichts gebracht haben?

Es ist tatsächlich zu Einstellungen auf diesem Ticket gekommen, allerdings gab es gleichzeitig Fluktuation, sodass Bereiche, die kurzfristig profitiert hatten – zumindest auf dem Papier – paradoxerweise nach einem halben Jahr schlechter dastanden als zu Tarifvertragsbeginn. Abgänge und Ausfälle konnten also noch nicht einmal aufgefangen werden, teilweise hatte man auch echte Schwierigkeiten, überhaupt Bewerber zu bekommen. Das hat uns zu dem Schluss geführt, dass es keine wirkliche dezentrale Entlastung gebracht hat. Bis auf ein oder zwei Ausnahmen wurden die Bereiche also nicht entlastet. Die vereinbarte Zahl von 80 Kräften war nach unserer Bewertung auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir wollen an diesem Modell nicht weiter festhalten, sondern wollen eine wirkliche Bemessung von Leistung zu vorgehaltenem Personal, dazu gehört zum Beispiel eine Quotierung, also: Wie viele Pflegekräfte versorgen wie viele Patienten. Das Verhältnis zwischen Pflegekräften und Patienten muss einfach spürbar besser werden.

Du hast davon gesprochen, dass ihr mit der Basis rückkoppelt, wie es weitergehen soll. Was sind eure Forderungen?

Wir sagen inzwischen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen derart ausgebeutet werden, dass wir einen Tarifvertrag für mehr Personal, mehr Entlastung unter dem Thema Gesundheitsschutz fordern. Ein weiterer Anker ist die Ausbildungsqualität. Wir fordern im Kern entweder mehr Personal ins Haus oder eine Leistungseinschränkung. Wenn gesagt wird, dass es mehr Personal nicht geben kann – aus welchen Gründen auch immer – dann muss eben die abgefragte Leistung entsprechend verringert werden. Und dann braucht es Konsequenz, also dass eine Instanz da ist, die Leistung und Personal überwacht und Konsequenzen zieht, wenn weder Personal aufgestockt noch Leistung eingeschränkt wird.

Und wie wollt ihr das durchsetzen?

Wir haben 2011 mit dem in unserem Bereich üblichen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von mehr oder weniger zehn Prozent die anderen unorganisierten 90 Prozent davon überzeugt, dass Streik im Krankenhaus sinnvoll ist und dass das auch geht und zwar jenseits der tradierten Streikformen. Wir haben damals ja tatsächlich Bettensperrungen und Stationsschließungen als Streikmethoden eingeführt. Auch Hochrisikobereiche wie Rettungsstellen und Intensivstationen haben wir bestreikt. 2011 waren wir erfolgreich – so erfolgreich, dass die Charité ganz schön blechen musste. Aber wie das dann so ist, wenn man nur diesen Teil des Systems ankratzt, der Kaufmann fängt dann an, das, was er an Gehalt mehr ausgibt, das spart er beim Personal wieder ein. Das ging ziemlich schnell und das war auch nicht zu kaschieren. 2012 fing es dann an zu eskalieren. Da hat die Charité fast 1800 Schichten abgesagt, die allesamt von Leiharbeitern abgedeckt wurden – aus Kostengründen. Das hat zu verheerenden Zuständen auf den Stationen geführt. Das war der Auslöser, dass wir gesagt haben, jetzt müssen wir reagieren und haben dann das Tarifprojekt Personalbemessung aus der Taufe gehoben. Das ist die Vorgeschichte.

Wie sieht aktuell euer Zeitplan aus, welche Aktionen plant ihr?

Der Stand ist jetzt, dass wir, also in diesem Fall die Tarifkommission, der Charité mitgeteilt haben, dass zum letzten Angebot keine Verhandlungen mehr nötig sind. Es hat etwas gebraucht, bis von der Charité überhaupt ein Angebot gekommen ist und das nun vorliegende ist unserer Meinung nach nicht akzeptabel. Nun diskutieren wir mit den Mitgliedern, mit der Basis, und bereiten Warnstreiks vor. In der nächsten Woche gehen wir bereits massiv in den Betrieb, um zu mobilisieren. Da kann ich natürlich noch keinen konkreten Zeitplan nennen. Es gibt nichts mehr zu verhandeln, jetzt wird gehandelt – bis ein verhandlungsfähiges Angebot vorgelegt wird. Wir fordern ein Angebot, dass konkret bedeutet, dass keine Pflegekraft in der Charité zukünftig alleine Nachtdienst schieben muss. Wir fordern eine Quote von „Eins zu Fünf“ auf den „Normalpflegestationen“, das bisherige Angebot berücksichtigt nur die Intensivpflege. Es muss letztendlich ein Angebot für alle Beschäftigten der Charité vorgelegt werden. Nicht alle kann man quotieren, aber wir brauchen Regelungen für alle Beschäftigten.

Die Charité ist nicht nur ein besonders großes, sondern auch vom Bekanntheitsgrad her ein besonderes Haus, an dem auch Tarifverhandlungen besonders aufmerksam verfolgt werden. Wie geht ihr damit um?

Das ist richtig. Es wird zwar an der Charité nur ein Haustarifvertrag verhandelt, das ragt allerdings schon über den betrieblichen Tellerrand hinaus. Das war schon das erste Krankenhaus, was im Rahmen des Schlichtungskompromisses ein Personalproblem eingeräumt hat, das sogar aufgeschrieben, und sich vertraglich zur Mehreinstellung verpflichtet hat, und wenn hier ein Damm bricht, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Republik. Man rührt da schon ein bisschen an Systemgrenzen, vor allem an dem System der Fallpauschalen. Das Ziel muss auch sein – und das ist die ver.di-Position – über die Charité hinaus eine gesetzliche Personalbemessung zu erreichen. Die Personalbemessung an Krankenhäusern gehört einfach der Profitlogik entzogen. Da ist der Systemkonflikt ganz klar. Die Probleme im Gesundheitswesen sind systemimmanent und lassen sich nicht in einem Krankenhaus lösen.

Das Interview führte Lars Mörking. Aus: UZ – Zeitung der DKP, vom 17. April 2015