Von Jakob Renard, Quelle: Berliner Anstoss 01/2022
Was der Turmbau zu Berlin mit Verdrängung und steigenden Mieten zu tun hat
Sie finden keine Wohnung in Berlin? Dann werden Sie doch einfach Monarch! Ein Monarch jedenfalls lässt derzeit am Alexanderplatz ein neues Wohnhochhaus errichten, 150 Meter hoch, soll der Bau bei Fertigstellung im kommenden Jahr 377 Wohnungen beherbergen. Der durchschnittliche Kaufpreis der jetzt schon feilgebotenen Liegenschaften: schlappe 15.000 Euro pro Quadratmeter. Monarch, so heißt die russische Unternehmensgruppe, auf deren Geheiß der »Alexander Tower« in die Höhe wächst. Er soll nicht der einzige bleiben. Für zwei weitere Türme am Alex haben die Bauarbeiten ebenfalls bereits begonnen, der Bau eines vierten könnte – könnte – bald erfolgen, und soll nicht der letzte bleiben. Einmal abgesehen von der Frage, was ein derart aggressiver Eingriff in das nach Maßgaben des sozialistischen Städtebaus gestaltete Architekturensemble am Alexanderplatz ästhetisch über die Zurichtung einer Gesellschaft aussagt, hat der Turmbau zu Berlin auch ganz reale ökonomische Folgen, die sich für den allergrößten Teil der Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt als ziemlich unerquicklich herausstellen dürften.
Der jetzt in Gang gesetzte Hochhausbau in exklusiver und zentraler Lage zeigt an, dass sich der private Wohnungsbau noch stets und vor allem auf das Luxussegment konzentriert. Wer jetzt aber glaubt, am Alex zögen dann bald in Scharen betuchte Herrschaften ein, der irrt. Von anderen Bauten in anderen Metropolen weiß man, in solchen Wohnungen brennt selten Licht. Die meisten der internationalen Käufer halten sich dort bestenfalls einige Wochen im Jahr auf. Naiv der, der meint, es ginge hierbei um den Gebrauchswert einer Wohnung und sei sie auch noch so luxuriös: es geht bei weiterhin niedrigen Zinsen und steigenden Bodenpreisen einzig um Wohnung bzw. Haus als Wertanlage – viel attraktiver als eine Anlage in Geldvermögen. Der Leerstand ist gewinnbringender als die Nutzung zum ursprünglichen Zweck, eine leere Wohnung bringt ein Vielfaches dessen, was eine durch einen Mieter mehr und mehr vernutzte erwarten lässt. Eine Baugenehmigung wiederum ist nicht vor allem die amtliche Erlaubnis zum Spatenstich, sondern die an den Märkten handelbare Beglaubigung einer Wertsteigerung des Grundstücks. Niemand, außer das Unternehmen selbst, weiß zum Beispiel genau, ob der US-amerikanische Immobilienkonzern Hines tatsächlich den Bau des erwähnten vierten Hochhauses am Alexanderplatz (direkt neben dem Saturn-Würfel) in Auftrag geben wird oder nur auf die Erteilung des Baurechts wartet, um dann das dadurch erheblich an Wert gestiegene Grundstück mit Höchstgewinn weiterzuverkaufen. Nicht erst die leerstehende Immobilie ist also Spekulationsobjekt, sondern bereits ein Grundstück, für das eine Baugenehmigung erteilt worden ist.
Nun ließe sich einwenden, das seien bloß die Probleme von Leuten, die an der Pein eines krankhaft chronischem Überhangs akkumulierten Kapitals laborieren, das um jeden Preis wieder profitversprechend angelegt werden muss, weil diese Leute ja eben nicht so rein und ungehemmt dem Geldfetisch frönen können wie weiland Dagobert Duck beim Talerbad in seinem Geldspeicher. Doch das, hier kommen die oben angedeuteten unerquicklichen Folgen ins Spiel, stimmt leider nicht. Die spekulative Wertsteigerung durch den Bau von Hochhäusern strahlt ab, der Bodenwert steigt auch in der Umgebung erheblich. Wenn im Zentrum Cluster von Wohntürmen hochgezogen werden, breiten sich die Preissteigerungen in Wellen in Richtung der Wohnlagen in der Peripherie aus. Die Bauprojekte am Alexanderplatz haben mittelbare Auswirkungen auf die Mietenentwicklung im Rest der Stadt. Und das Spiel scheint kein Ende zu kennen, der Markt dreht am Rad. Ende des vergangenen Jahres vermeldete das Statistische Bundesamt eine rekordverdächtige Preissteigerung der Wohnimmobilien in Deutschland. In den sieben größten Städten der Republik stiegen die Preise für Eigentumswohnungen und Eigenheime gegenüber dem Vorjahr um mehr als 14 Prozent mit Auswirkungen auch auf den Mietenmarkt. In Zeitraum der vergangenen zehn Jahre lag der Anstieg der Mieten bundesweit bei 50 Prozent, in Berlin bei mehr als 60 Prozent. Und der neue Senat in Berlin? Findet, das habe alles schon seine wohleingerichtete,
naturgesetzliche Ordnung. Die Betonköpfe von der SPD, dem politischen Arm der Westberliner Baumafia, verlangen »Vertrauensschutz« für die Investoren des Hochhausbaus am Alex und setzen im Übrigen auf dreierlei: Bauen, bauen und nochmals bauen. Das soll losgelöst vom tatsächlichen Bedarf und in der marktgläubigen, mithin wahnhaften Annahme erfolgen, dass der Neubau die Bestandsmieten fallen lässt, bedeutet aber vor allem, dass sich das Geschäft mit dem Neubau für die Eigentümer lohnen muss. Der Markt also soll sich um die Misere kümmern, wenn der Staat nur ein paar Impulse setzt. Verräterisch ist da die völlig unverbindliche Formulierung im Berliner Koalitionsvertrag, die Hälfte des Wohnungsneubaus sei »möglichst« im »gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment zu errichten«. Wie gut das funktioniert, zeigt das Beispiel Hamburg: Trotz Rekordzahlen beim Wohnungsbau sind die Mieten in jüngster Zeit so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht.
Grundlegende Besserung wäre erst dann in Sicht, wenn Eingriffe in die Verfügungshoheit des Eigentums an Grund und Boden erfolgten. Dass der amtierende Senat gar nicht daran denkt, zeigt der Umgang mit dem Volksentscheid zu »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Mag sein, das eine oder andere Regierungsmitglied glaubt ernsthaft, beider Interessen ließen sich harmonisieren – die Politik des Senats ist mitnichten eine im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, sondern eine im Interesse des Kapitals. Die Türme am Alex werden dafür ein gut sichtbares Mahnmal sein.